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Geschichten und Wissenswertes    

DIE BULLIS AUS BRASILIANISCHER PRODUKTION

Seit 1953 produziert Volkswagen auch in Brasilien, zunächst in Lizenz und aus vorgefertigten, importierten Teilen bei Multibra, ab 1956 (andere Quellen sagen 1957) als VW-eigenes Unternehmen. Das Tochterunter- nehmen "Volkswagen do Brasil Ltda." hatte von Anfang an relativ große Freiheiten bei der Geschäftsausführung, so dass im Laufe der Zeit etliche Eigenkreationen (zumeist aber aus dem Baukasten des Konzerns zusammengesetzt) für außereuropäische Märkte entstanden sind. So wurde beispielsweise der Kleinwagen VW Fox auch für den europäischen Markt in Sao Bernardo do Campo, einem Vorort von Sao Paulo hergestellt.


So hat jedenfalls auch die Geschichte des VW-Bulli in Brasilien einen etwas anderen Verlauf genommen als im Mutterhaus. Anfangs ebenfalls bei Multibra, seit Gründung des Standortes 1956 in Sao Bernoardo do Campo, lief neben dem "Fusca" (Käfer) auch der "Kombi" vom Band. Dabei handelte es sich anfangs um den T1, wie er fast baugleich auch in Europa produziert wurde.

Brasilienbulli T1

Ein T1-Fensterbus, aufgenommen in Rio de Janeiro 2012. Der Fahrzeugzustand ist durchaus typisch für die Bullis dieser Generation in Südamerika - und sie sind an jeder Straßenecke zu sehen. Sie dominieren absolut die Sparte der Kleintransporter.


Wie alle T1 aus brasilianischer Produktion werden sie ohne Heizung ausgeliefert. Dafür haben sie alle hinter der B-Säule 4 Seitenscheiben - das gab's in Europa nur beim "Samba".

Während in Hannover bereits seit 1967 der T2a vom Band lief, produ- zierte Volkswagen do Brasil zunächst weiter den T1, jetzt allerdings erstmals mit 12-Volt-Anlage. Erst 1975, da ist auf Europas Straßen  längst der T2b unterwegs, wurde die Produktion auf ein seltsames Zwitterwesen umgestellt, das heute als "T1,5" (bzw. "T1c") bezeichnet wird. Die offizielle Bezeichnung lautete auch weiterhin "T1" . Dieser Bus zeichnete sich durch die Besonderheit aus, dass er bis zur B-Säule weitgehend dem T2b, nach hinten aber weiterhin dem T1 glich. Unter dem Blech verbarg sich weiterhin größtenteils T1-Technik.

Brasilienbulli T1,5 Markt

Eine Wochenmarkt-Szene in Rio. Seitlich ein wunderschöner, nahezu fabrikneu aussehender T1,5 mit aufgeklappten Flügeltüren.


Die T2-ähnliche Front mit den farblich abgesetzten Lüftungsgittern und Lichteinfassungen, sowie den weißen Blinkergläsern und der Stoßstange, dazu das in Fahrzeugfarbe gehaltene Emblem machen das Auto definitiv zu einem Eye-Catcher.


Bestellt man heute eine neue Frontmaske für seinen T2 als Ersatzteil, so erhält man eine aus brasilianischer Produk- tion mit eingepresstem VW-Emblem wie bei diesem Fahrzeug...

Der Brasilienbulli hatte nun also auch die große, durchgehende und gewölbte Frontscheibe, die Karosserie verjüngte sich nach vorne hin nicht mehr wie beim klassischen T1, und das v-förmige Auslaufen des seitlich unter den Fenstern verlaufenden Wulstes war dem typischen T2-Gesicht gewichen. Auffälligste Besonderheit gegenüber der klassischen T2-Front war die noch an den Vorgänger erinnernde, eher rundlich ausgeformte Stoßstange. Anders als beim klassischen T1 oder T2a aber lief sie nicht um die Karosserie-Kante herum bis zum Radausschnitt und beherbergte auch nicht die Trittstufe.


Von der B-Säule nach hinten aber glich der Bus eher dem brasilianischen T1: seitlich fanden sich die altbekannte doppelflügelige Klapptür und die vier kurzen Scheiben. Dazu aber erhielt der T1,5 die wie beim Samba-Bus um das T1-typisch rundliche Heck herumreichenden Fenster. Anders aber als der klassische T1 erhielt dieser Bus die großen Rücklichter des T2b, die dafür etwas seltsam anmutende Erker im rundlichen Heck benötigten. Dieser  T1,5 oder T1c wurde noch bis in das Jahr 1997 (!) produziert, ab 1982 mit einem auch Alkohol vertragenden Boxer (Flexfuel).

Typischer Fahrzeugzustand. Irgendwie fremd, diese großen Lichter am T1-Heck, oder?
Auch hier ein typischer Fahrzeugzustand im Alltag Südamerikas
Die beruflliche Nutzung überwiegt, die Busse werden aber zumeist auch privat genutzt
Wunderschöner T1c in Zweifarblackierung. Auffällig der kurze hintere Fahrzeugüberhang und die großen T2b-Rücklichter
Hier ist zudem die T2-typische Fahrerkabine erkennbar
Hier der Beweis: oben T2b, unten T2a-typische Stoßstange ohne Trittstufe, hinten die kurzen T1-Fenster
Hier ein T1c im Neu- oder guten Gebrauchszustand
Dasselbe Fahrzeug von hinten…
In der Detailansicht sind die „Erker“, die für die großen Rücklichter notwendig waren, gut zu sehen. Die Radkappen sind übrigens auch Brasilien-typisch
Viel Blech, wenig Dämmung…
Das Fahrzeug stammt aus einem Baujahr nach 1981, wie das T3-Lenkrad und der Schaltknauf vermuten lassen
Auch hier gut zu erkennen: serienmäßig kein Dachhimmel, keine Türpappen, keine Dämmung. Dürfte ziemlich laut sein während der Fahrt.

In dieser Galerie (bitte anklicken) vier Beispiele für den T1,5, aufgenommen 2013 in Paraguay und 2014 im Süden Brasiliens. Die typischen Merkmale sind recht gut zu erkennen


Oben eine reichlich verlebte Grotte aus Paraguay, in der Mitte zwei gut erhaltene Fahrzeuge in Zweifarblackierung, unten ein Fahrzeug neueren Datums. Man beachte bei letzterem die "zeitgenössischen" T3-Anleihen hinsichtlich Lenkrad und Schaltknauf...

Die Pritsche, in Südamerika als "Pick-up" vertrieben, hat ebenfalls eine etwas andere Geschichte genommen als in Europa. Hierzu fehlen mir allerdings noch aussagekräftige Bilder...

Die Geschichte des brasilanischen Pick-up

lautet jedenfalls wie folgt:


Als T1 mit klassischer Bügelstoßstange (wie auf dem Bild ganz oben) lief der Pick-up erstmals 1967 vom Band. Im Unterschied zu Europa gab es den Pick-up aus Brasilien aber nur mit überbreiter Holzpritsche, wie sie in Deutschland von der Fa. Westfalia verkauft wurde.


Ab 1968 wurde der T1-Pick-up  modifiziert und mit (immer noch überbreiter) Pritsche, jedoch mit Blechverkleidung mit drei abgerundeten rechteckigen Blechsicken in den Seiten angeboten (man beachte: in Deutschland waren es bei den normalen Pritschen stets vier dieser Sicken, den Dokas dagegen nur drei - vergleiche dazu die nachfolgende Galerie).


Immer noch  als T1 bezeichnet (für uns "T1,5") erschien der Pick-up 1976 mit dem T2-Vorbau, und wurde so bis 1997 parallel zum "Kombi" gebaut. Diese Fahrzeuge hatten stets die für den T1,5 typischen Stoßstangen und die großen Heckleuchten des T2b.


Ob in Brasilien von dieser Baureihe auch Doppelkabinen hergestellt wurden, ist mir nicht bekannt.


Zu all diesen Fahrzeugen fehlen mir geeignete Bilddokumente. Wenn jemand eigene beisteuern kann, bitte melden!


Stattdessen finden sich z. B. auf Paraguays Straßen durchaus auch Pritschen aus europäischer Produktion, teils auf abenteuerliche Weise verbastelt, wie es für dieses Land typisch ist...:

Alle diese Bilder entstanden 2013 in Asuncion, Paraguay.


Die blaue und grüne DoKa sind wohl europäische T2a, jedoch "von Hand" auf die T2b-typischen hochgelegten Blinker umgerüstet.


Das gelbe Fahrzeug ist wohl ein "echter" T2b, wie die "Eisanbahnschienen"-Stoßstange vermuten lässt. Sie muss ebenfalls aus europäischer Produktion stammen.

Die "Einwanderung" dürfte über den nordamerikanischen Markt erfolgt sein...

Brasilienbulli Pritsche in Paraguay

Mein wohl einziges Foto einer Pritsche aus brasilianischer Produktion, 2012 in Asuncion, Paraguay aufgenommen: mutmaßlich ein T1,5  oder T2c (auch wenn die beweisenden Stoßstangen nicht erkennbar sind, wohl aber die überbreite Holzbeplankung, die aus Eigenproduktion stammen könnte, und die großen Heckleuchten des T2b.

1981 lässt sich Volkswagen do Brazil noch etwas nie dagewesenes einfallen: den Kombi mit Dieselmotor. Bis 1985 sollte er gebaut werden, mit einem stehenden Reihenvierzylinder, der Peripherie des zeitgleich in Deutschland produzierten T3-Diesel, und mit einem Wasserkühler hinter einer schwarzen Kunststoffblende, von der noch zu reden sein wird. Vom T3-Bulli übrigens erbt der brasilianische Kombi in diesem Jahr auch das Lenkrad und den Schaltknauf. Darüber hinaus gibt es endlich auch Scheibenbremsen und Sicherheitsgurte...


Nachdem 1997 auch in Brasilien strengere Abgasregelungen inkraft getreten waren, trat an die Stelle des "T1,5" der "T2c", der zwar in Brasilien bereits seit 1995 produziert wurde, nachdem man aus Mexiko die Presswerkzeuge für die Karosserie übernommen hatte, jedoch zunächst auch nur für den mexikanischen Markt.. Der  T1,5 wurde par- allel übrigens wohl noch bis in das Jahr 2002 weiter produziert, das Jahr, in dem in Deutschland bereits der T5 debütierte.


Entspricht der brasilianische T2c ansonsten weitgehend dem auch aus europäischer Produktion bekannten Modell T2b (das zu dieser Zeit bereits acht Jahre nicht mehr produziert wurde!), so weist er doch einige Besonderheiten aus. Wichtigster "innerer" Unterschied ist sicher der nun mittels G-Kat auf einigermaßen zeitgemäßes Emissionsverhalten zivilisierte Heckmotor, doch es finden sich auch etliche Karosserie-Besonderheiten: Das Dach ist höher und kantiger als die rundliche Kuppel des Originals, es ist durch stabilisierende Sicken dreigeteilt und läuft nach vorne leicht keilförmig aus. Seitlich findet sich an den vorderen Türen eine z-förmige, parallel zur unteren Türkante verlaufende Sicke. Die Stoßstange erinnert weiterhin eher an die des T1, jedoch ohne die seitlichen Trittstufen. Ebenfalls anders ist das nun aus Kunststoff gefertige und quer lamellierte Lüftungsgitter zwischen den Blinkern, das allerdings auch schon den T1,5 zierte.

Brasilienbulli T2c

In Rios Stadtteil Copacabana unweit des berühmten Strands im Herbst 2012 entdeckt : hinten angeschnitten ein  T1,5, vorne der T2c, wie er von 2005 bis 2013 in Sao Bernardo do Campo vom Band lief.


Den schwarzen Kunststoff-Kühlergrill trugen auch die bereits erwähnten Dieselmodelle aus den frühen 80-er Jahren.

In 2005 lief die Produktion des luftgekühlten Boxermotors in Brasilien aus. Dies bedeutete jedoch nicht das Ende für den T2, vielmehr wurde er ein letztes Mal umgestaltet. Blieb er in der Karosserie weitgehend unan- getastet, musste für den nun verbauten 1,4-Liter-4-Zylinder-Reihenmotor mit "FlexFuel"-Technologie, der mit Benzin und/oder Ethanol betrieben werden kann, ein Wasserkühler in der Front untergebracht werden. Dafür erhielt er einen recht häßlichen Kunststoff-Kühlergrill, der in seinen äußeren Abmessungen ein wenig an die weißen Kunst- stoff-Abdeckhauben für das vor der Front angebrachte Reserverad einiger Campermodelle der 70er Jahre erinnert. Wie bereits oben erwähnt, war dieses Detail bereits für den Diesel-T2 aus der Taufe gehoben worden. Interessant auch, dass dieser Wasser-T2 für den mexikanischen Markt schon seit 1995 (und bis 2001)  in Sao Paulo vom Band lief (war er doch in Mexiko schon von 1988 bis 1995 so gebaut worden), für den heimischen Markt aber erst 2005 kommen sollte. Die Querlamellierung des Kühlergrills passt zu der schon erwähnten Ausführung des Lüftungsgitters beim T2c.

Gesamtansicht
Das ist doch mal ein schön modernisiertes Bulli-Lenkrad - da kann der T3 nicht mithalten…
Schön in Wagenfarbe lackierte, querlamellierte Kunststoffblende vor dem Lüftungseinlass
Wohl dünneres Blech erzwang diese stabilisierende, z-förmige Sicke in der Tür
Dacherhöhung ähnlich Westfalia-Campingaufstelldach
Wer heute eine neue Heckklappe für seinen T2 bestellt, erhält dieses Modell mit eingearbeitetem VW-Logo

Detail-Aufnahmen eines T2c mit Boxermotor, entstanden im Museum der Volkswagenstiftung Anfang 2014. Der Besuch in Wolfsburg hatte die Sonderausstellung "60 Jahre Volkswagen do Brazil" in der Autostadt zum Anlass. Hiervon wird unten noch berichtet werden.

Hier werden dem Modell "Last Edition", im Zeithaus der Autostadt in Wolfsburg anlässlich der Sonderausstellung "60 Jahre Volkswagen do Brazil" bis Januar 2014 ausgestellt, seine Geheimnisse entrissen: eine Heizung fehlt komplett, und für den Kühler musste Platz geschaffen werden. Dennoch findet sich hier Raum für eine geänderte (und überaus sinnvolle) Lenkgestänge-Geometrie. Sie scheint der des T1 zu ähneln...


"Bitte nicht betreten" stand auf der weißen Fläche - von "Beliegen" war dabei aber nicht die Rede...

Gesamtansicht
Brasilien-Radkappen…
T3-Rückspiegel…
Das Interieur ist nicht ganz so gepimpt wie bei dem Modell von 1998
Motor und Abgasführung werden auch sehr bestaunt

Wer mehr von der Last Edition sehen möchte, klicke hier auf die Galerie...

In dieser Form ist der Brasilienbulli noch bis Ende 2013 vom Band gelaufen. Von 2010 bis zum Produktionsende konnte dieser Bus noch über niederländische VW-Vertragshändler, die auch Camper anbieten, direkt aus Brasilien als Neuwagen geordert und angeblich in Europa zugelassen werden. Er verträgt E85-Treibstoff.


Neue Crash- und Sicherheitsvorschriften, die in Brasilien seit Anfang 2014 gelten, können mit dem Bulli nicht mehr erfüllt werden. So fand die Geschichte des letzten Frontlenker-Heckmotor-Bullis  2013 endgültig ihr Ende. www.luft-boxer.de kann hier nur tiefstes Bedauern zum Ausdruck bringen...

Die Modelle T3 bis T6 wurden in Brasilien komplett übersprungen. Als Ersatz für den Bulli käme wohl der Pickup Amarok in Betracht, der ohnehin in Südamerika (Argentinien) produziert wird. Da die Brasilianer den Bulli aber nicht primär als PKW fuhren, sondern ähnlich wie die Deutschen den T1 in den Wirtschaftswunderjahren als kostengünstiges Nutzfahrzeug, das am Wochenende als Familienauto herhalten musste, dürfte der Amarok aus Preisgründen wohl chancenlos sein.


Obwohl man VW-Busse modernerer Bauart in Südamerika nicht ohne weiteres finden dürfte, entdeckte der Autor 2012 ausgerechnet in Paraguay, dem  wohl ärmsten und technisch rückständigsten Land des südamerikanischen Kontinents, am Straßenrand einer staubigen Überlandstraße zwischen Asuncion und Ciudad del Este eine ziemlich verlebte T3a-Lufti-Doka. Und obwohl die Paraguayer häufig preiswerte, in Chile auf Linkslenker umgebaute japanische  Gebrauchtwagen fahren (in Japan herrscht ja Linksverkehr), handelt es sich bei diesem Exemplar ganz offensichtlich nicht um einen aus südafrikanischer Produktion stammenden ehemaligen Rechtslenker-T3, der dort ja noch bis 2003 produziert wurde. Dieses Exemplar ist wohl eher im Laufe seines Lebens aus Nordamerika oder Europa hierher migriert.

T3 in Paraquay

Der möglicherweise einzige T3 des südamerikanischen Kontinents. Es handelt sich um eine Lufti-DoKa aus sicher europäischer Produktion der Zeit bis 1982.

Sehr schön die Position des mittleren Zusatzscheinwerfers im Bereich des fehlenden Lüftergrills

Die Geschichte des Brasilienbullis also ist lang und bewegt. Aus meiner Sicht ist sie auch nicht unbedeutend, kommen doch noch heute einige Ersatzteile für unsere Lieblinge von dort, wie ich oben an einigen Stellen erwähnt habe.


Auch in Mexiko wurden neben dem Käfer auch Bullis produziert. Über deren Geschichte ist in Deutschland noch weit weniger bekann als über die brasilianische Produktion. Ein sehr knapper Abriss meiner Kenntnisse hierüber, und wie sich das mit den hier besprochenen Brasilienbullis fügt, findet sich hier.




Quellen: Wikipedia (erstmals 2012, letzter Aufruf 18. Nov. 2021), persönliche Mitteilungen von Gerhard Mauerer im Verlauf des Jahres 2013, eigene Anschauung in Südamerika 2012, sowie zwei sehr gute Artikel: "Tchau Kombi!", erschienen im Heft "Käfer Revue" Sonderausgabe "Gute Fahrt" 1/14, und "Bus-Stop", erschienen in "VW Classic" Nr. 8, beide von Arne Olerth.


Fotos: LML, TH

Käfer NACH OBEN

Letzte Änderung 18.11.2021